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Best Practice

Mutterschaft und KKW

Von Tanja Begon

Verträgt sich deine Selbstständigkeit mit deiner Mutterschaft? – “Ja klar!” war meine Antwort vor einigen Jahren. Als Mutter eines Kleinkindes schien mir Selbstständigkeit als Texterin als logische Konsequenz. Sie versprach mir die Freiheit und Selbstbestimmung, beides nach meinen Spielregeln verbinden zu können. Sieben Jahre – einige davon mit Dock 11 eng an der Kreativwirtschaft dran – und eine Pandemie später sehe ich die Dinge ein bisschen differenzierter. 

Mutterschaft und KKW

Müssen wir die Vereinbarkeitsfrage extra für die Kultur- und Kreativwirtschaft stellen?

Ja, obwohl die KKW in dem Sinne keine Branche mit einheitlichen Voraussetzungen ist. Vielmehr ist Kultur- und Kreativwirtschaft ein Begriff, der elf Teilmärkte umfasst, und dazu gehören Architekt:innen genauso wie Designer:innen, Künstler:innen, aber auch Musiker:innen, Spieleentwickler:innen und noch viele mehr. Die Herausforderungen von zwei Familien aus diesem Bereich sind also selten dieselben und sie überschneiden sich auch oft mit denen anderer Berufsgruppen. Aber ein paar Herausforderungen bündeln sich in diesem großen Feld auf auffällige Weise.

Selbständigkeit und Gender Pay Gap 

Die Kultur- und Kreativwirtschaft ist geprägt von prekären Beschäftigungsverhältnissen mit befristeten Arbeitsverträgen. Außerdem war mehr als ein Drittel der Erwerbstätigen 2019 selbständig tätig, während es im Bundesdurchschnitt etwa 10 % waren. Selbständigkeit bedeutet unter anderem oft einen eingeschränkten Zugang zu sozialen Sicherungssystemen. Was in individuellen Krisen, wie Krankheit, früher fast ausschließlich als Konsequenz persönlicher Entscheidungen betrachtet wurde, hat in den letzten Jahren eine zusätzliche Perspektive erhalten: Die kollektive Erfahrung der Coronapandemie hat dieses Risiko als strukturelles Problem über viele Branchen der KKW hinweg sichtbar gemacht. Laut dem letzten Monitoring-Bericht hatten einige Branchen Umsatzeinbußen von bis zu 50 Prozent, was viele Beschäftigte an den Rand der wirtschaftlichen Existenz und darüber hinaus brachte. 

Diese prekäre Situation wirkt sich aber auch in anderen Lebenssituationen aus, zum Beispiel während und nach einer Schwangerschaft. Wie drängend das Problem ist, zeigt die Entwicklung der Initiative »Mutterschutz für alle!« – von einer Petition der selbständigen Tischlermeisterin Johanna Röh 2022 hin zum Verein. Trotz der Resonanz, die diese Initiative auch im Bundestag erhielt, ist es aber immer noch ungewiss, ob und wie eine Chancengleichheit zwischen Angestellten und Selbstständigen hergestellt werden kann. 

Die aktuelle Lage bei Lohnersatzleistungen in der Zeit kurz vor und nach einer Geburt für Selbständige ist sehr komplex. Und wenn man sich hier eingefuchst und endlich fertig gerechnet hat, ist das Ergebnis oft ernüchternd. Denn in der Regel werden zwischen 65 % (Elterngeld) und 70 % (Mutterschaftsgeld) des Einkommens ersetzt. Und das fällt für viele Branchen in der Kultur- und Kreativwirtschaft nicht üppig aus. Dazu kommt, dass der Gender Pay Gap hier laut einer Auswertung der Künstlersozialkasse im Mittel satte 24 % beträgt, während der Bundesdurchschnitt bei 18 % liegt. Gut ein Viertel der Frauen in der Kultur- und Kreativwirtschaft hatten 2019 ein Einkommen von weniger als 1.100 €. 

Wer betreut die Kinder, wenn alle im Theater sind? 

Aber auch wenn es um den Wiedereinstieg ins Erwerbsleben geht, sieht es nicht rosig aus. Es gibt keine umfassenden Zahlen für die gesamte KKW, aber branchenspezifische Studien, wie die des Vereins BÜHNENMÜTTER e. V.. zeigen deutlich, wie schwierig die Situation vor allem für Frauen ist. Unregelmäßige und flexible Arbeitszeiten sind in vielen Bereichen der Kultur- und Kreativwirtschaft üblich, Betreuungsangebote in Randzeiten hingegen äußerst rar gesät. Vor allem Eltern, die ihren Lebensunterhalt mit Bühnenpräsenz verdienen, müssen nicht selten einen Großteil ihrer Gagen für private Kinderbetreuung einplanen, wenn nicht Freund:innen und Familie einspringen. Filmschaffende müssen oft wochen- oder monatelang in die Arbeit am Drehort eintauchen und auch Förderinstrumente wie Residenzen sind oft problematisch. Sie bieten nicht nur, sondern fordern oft auch Anwesenheit am Residenzort. Für Eltern oft ein Ausschlusskriterium, denn Kinder werden in den wenigsten Fällen mit eingeladen und betreut und spätestens die Schulpflicht setzt dem ein Ende. 94,8 % der befragten freien Künstler:innen gaben in einer Umfrage an, wegen der Kinder weniger von Wettbewerben und Ausschreibungen profitieren zu können. 

Vereinbarkeitsschwierigkeiten mit Bonuslevel

Beschäftigte in der Kultur- und Kreativwirtschaft haben also neben den üblichen Vereinbarkeitsproblemen oft mit zusätzlichen Herausforderungen zu kämpfen. Aber diese betreffen nicht alle gleichermaßen. Das Ringen der Bundesregierung um die Erweiterung des Mutterschutzes zeigt, wie komplex und kompliziert die Lage ist. Denn in der Tat gibt es keine einfache und schnelle Lösung, die allen helfen würde. Das gilt auch für Probleme bei der Kinderbetreuung. Es ist offensichtlich, dass es keine Lösung gibt, die für alle passt. Und so ist die einzigartige Dynamik der Kultur- und Kreativwirtschaft offensichtlich nicht nur Innovationstreiber und Katalysator für die klassische Wirtschaft. Sie erfordert auch  innovative Lösungsansätze in den traditionell orientierten sozialen Sicherungssystemen genauso wie in gesellschaftlichen Rollenmodellen. Es gibt viele Initiativen und Verbände, die sich für familienfreundliche Rahmenbedingungen einsetzen, oft auch branchenspezifisch. Aber die politische Lösung ist mit angezogener Handbremse unterwegs, denn Probleme wie der Fachkräftemangel im Bildungssektor kommen ja für alle noch dazu. 

Der Weg ist also noch weit und jedes zusätzliche Engagement bedeutet für die, die heute Familie und Beruf jonglieren, einen Bonuslevel mit ungewissem Ausgang. Also was tun, damit dieses Level nicht auch den Endgegner beinhaltet: für die Karriere oder die Familie?

Keine Kinder zu bekommen ist auch keine Lösung

Damit hier kein Missverständnis aufkommt: Als individuelle Entscheidung ist es selbstverständlich eine völlig zulässige Lösung, keine Kinder zu bekommen. Ganz gleich, aus welchen Gründen die Entscheidung fällt, sollte sich deshalb niemand zur Rechenschaft verpflichtet fühlen. Aber gesamtgesellschaftlich betrachtet ist es keine Lösung. Wenn wir möchten, dass es auch in Zukunft Menschen gibt, die den Laden am Laufen halten, müssen wir Raum und Möglichkeiten für die Familien schaffen, die sein wollen. Für einen politischen und gesellschaftlichen Wandel brauchen wir aber noch einen langen Atem. Und was machen wir in der Zwischenzeit?

Als Expertin und Verbündete für diese Frage habe ich Eva Lorentz eingeladen. Sie ist selbst Mutter von zwei Kindern und unterstützt mit ihrer Kunterbunt Factory überwiegend Mütter auf ihrem Weg zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Empowerment ist ihre Mission, aber: „Die eine Lösung für alle habe ich auch nicht“, stellt sie gleich klar. 

Komplexe Ausgangssituationen erfordern individuelle Lösungen

Jede Person muss individuell dort abgeholt werden, wo sie steht. Und die Standpunkte ihrer Teilnehmerinnen sind sehr unterschiedlich. Deshalb ist das mit den Tipps so eine Sache.  Einen populären Tipp aus der Ratgeberliteratur hebt Eva beispielhaft hervor: Man solle den Umsatz im vorletzten Steuerjahr vor der Geburt ordentlich steigern, um eine gute Basis für das Elterngeld zu haben. Was auf den ersten Blick sehr wertvoll klingt, scheitert oft am Reality-Check. Denn wie viele Kinder machen sich ungeplant auf den Weg in diese Welt? Und eine Googlesuche nach Begriffen wie Hibbelzeiten oder Übungszyklen zeigt deutlich, dass die Planung einer Schwangerschaft parallel zum Abschluss eines Steuerjahres eher Glückssache ist. Ist dieser Tipp deshalb falsch? Nein, natürlich nicht. Aber er erweckt einen Eindruck von Kontrollierbarkeit und führt so zu Ansprüchen, an denen es sich schon vor einer Geburt gut scheitern lässt. Und wenn man Schwangerschaft und Geburt geschafft hat, geht es ja auch eigentlich erst richtig los: mit den Aufgaben und den Ansprüchen! 

Neben der Quality-Time, die man gerne mit diesen kleinen Menschen verbringt, explodieren die Alltagsaufgaben und deren Management auf ungeahnte Weise. Aber der Tag bekommt nicht mehr Stunden, nur weil man Elternteil geworden ist. Also versucht man sich im vielgepriesenen Zeitmanagement. Und kaum hat man eine Routine entwickelt, verändern sich die Bedürfnisse des Kindes. Das führt einerseits zu pragmatisch logistischen Herausforderungen, aber auch immer wieder zu der Frage: Was für eine Mama oder was für ein Papa möchte ich eigentlich sein? 

Oft kommen Frauen zu Eva, die gar nicht wissen, ob sie überhaupt wieder in ihren alten Job zurück wollen, erzählt sie. Da gilt es genau hinzuschauen: Woher kommen diese Zweifel? Passt der Job wirklich nicht mehr, oder kann sie sich einfach nicht vorstellen, wie sie nach einer Betreuungsphase wieder zurück in den Joballtag findet?  In jedem Fall ist für Eva immer der erste Schritt zu schauen, wo einerseits Talente und Ressourcen und andererseits die Anforderungen liegen. Sowohl die im Job als auch die eigenen und dann einen Weg zu finden, auf dem man diesen Grat sicher ausbalancieren kann. Sie bezeichnet sich selbst als Trüffelschwein, das genau nach diesen individuellen Potenzialen sucht, um dann mit ihren Klientinnen Lösungswege zu erarbeiten. Das macht sie in Workshops, Masterclasses und 1:1 Coachings und manchmal auch in Network-Events. Denn Ressourcen liegen nicht zwingend in der Familie allein. Nachbar:innen, Freund:innen (eigene und die der Kinder): Das Netzwerk an Supportern einer Familie kann so viel breiter sein! 

Bildet Banden und macht mit! 

Familie ist und bleibt ein Abenteuer und Abenteuergeschichten sind immer wild und spannend. Außerdem gehört zu jeder Story, dass der oder die Held:in zwischendrin verzweifelt und nicht weiter weiß. 

So unterschiedlich die Voraussetzungen in jeder einzelnen Branche der Kultur- und Kreativwirtschaft sind, so sind es auch die jeder Familie. Natürlich sollte das oberste Ziel immer sein, dass alle Eltern und Kinder die gleichen Chancen erhalten und dieselbe Solidarität erfahren. Eine echte Vereinbarkeit von Elternschaft und Beruf ist kein Nice to have, sondern Teil der Lösung vieler unserer aktuellen gesellschaftlichen Schieflagen. Hier gilt es, politische und wirtschaftliche Rahmenbedingungen zu schaffen und dafür aktiv zu werden. Aber auch kurzfristig müssen Lösungen her für die Familien mit Kindern, die jetzt sind und auch hier helfen Netzwerke – im Großen wie im Kleinen. 

Ressourcensammlung 

Deshalb öffnen wir auf Dock 11 eine Ressourcensammlung für euch, in der wir Infomaterial über Unterstützungsangebote, aber auch Netzwerke, Verbände und andere Initiativen sammeln und vorstellen. Weil wir unmöglich alles wissen und kennen können, laden wir euch herzlich ein, mitzumachen. Du kennst Initiativen, Verbände und Lösungen in und für die Großregion verankert oder bundesweit? Schreib uns eine E-Mail an hallo@dock11.saarland und hilf uns allen bei dieser Sammlung. 

Austausch

Macht das Thema sichtbar und diskutiert über mögliche Lösungen, für euch und für andere, im Großen wie im Kleinen. Sucht euch eine Initiative heraus, die für euch passt, informiert euch und macht mit! Und sucht euch Verbündete, denn ihr seid nicht alleine. Die Freund:innen eurer Kinder haben auch Eltern, die sich über eine Stunde mehr Zeit freuen. Und so manche Nachbarn sind froh, wenn sie sich Arbeiten im und um das Haus aufteilen können. 

Und weil Eva und ich nach den zwei Stunden noch lange nicht fertig waren mit dieser Geschichte, haben wir uns zu einer Fortsetzung verabredet, Ende offen. Und auch hierzu laden wir euch ein: Wir treffen uns am Freitag, 26. April um 12:00 im Ubu Roi zu einem zwanglosen Mittagessen und freuen uns riesig über jede Einzelne, die zu uns stößt. Wir teilen unsere Herausforderungen, unsere Lösungen und sammeln Ideen, was hier in der Community möglich ist. Wir freuen uns aber auch über dich, wenn du nur zuhören möchtest, wie andere dieses Abenteuer meistern. Wenn du Lust hast, gib bitte kurz per E-Mail an mail@tanjabegon.de Bescheid, damit wir einen Tisch reservieren können, an den wir alle passen.