Zum Inhalt Zum Hauptmenü
Features

Dock 11 Canvas #3

Canvas

Dock 11: Hallo Jonathan. Wo erwischen wir dich denn gerade? Ich nehme an, um diese Uhrzeit bist du am arbeiten?

Jonathan: Genau. Allerdings nicht wie sonst so oft in meinem Atelier an der HBK, sondern in einem Café im Nauwieser Viertel in Saarbrücken. In den Semesterferien kann ich mir das öfter erlauben. 

Ich arbeite in alle Richtungen und vermeide so etwas wie »Stammkunden«.

Dock 11: Deine Arbeit ist die dritte Illustration, die dock11.saarland schmücken wird. Wo gibt es dich denn normalerweise zu sehen, und wer sind typischerweise deine »Kunden«?

Jonathan: Momentan arbeite ich in alle Richtungen und bin froh, keine »Stammkunden« zu haben. Ich freue mich, wenn etwas neues reinschneit, aber ich brauche keine Aufträge, um neue Arbeiten anzufertigen. Wer nachvollziehen will, was ich so treibe, folgt mir am besten auf Instagram. Letztens habe ich zum Beispiel einen Fanschal gestaltet und vertiefe mich immer mehr in Keramik. Es kommen zwar immer nur schiefe Tassen und Seifenschalen dabei heraus, aber mir gefällt es, anstatt von Stiften auch mal die Hände selbst zu benutzen. Diese Freiheit genieße ich momentan sehr. Ein Großteil meiner Arbeit ist War and Peas, ein Projekt, an dem ich schon seit vielen Jahren gemeinsam mit Elizabeth Pich arbeite.

Dock 11: Diese Illustration hast du mit Tusche gefertigt, aber du hast mir schon erzählt, dass das in der Regel nicht deine gewohnten Materialien sind. Mit was arbeitest du denn für gewöhnlich? Produzierst du noch viele analoge Arbeiten? 

Jonathan: Das stimmt. Ich hatte es mir bei einem heftigen Sturm zuhause gemütlich gemacht und wollte gerade anfangen zu zeichnen, als ich bemerkte, dass ich alle meine üblichen Materialien im Atelier vergessen hatte. Ich habe noch ein Fässchen Tinte, eine verbogene Feder und ein paar Copics gefunden. Vorzeichnungen mache ich normalerweise immer noch mit Bleistiften, aber dann geht es relativ schnell ins Digitale. Besonders die Comics entstehen so, aber bei Illustrationen tendiere ich immer mehr dazu, noch analoger zu arbeiten. 

Comics bieten die Möglichkeit, mit wenigen Mitteln neue Welten zu gestalten. Das erfordert allerdings strenge Pointiertheit.

Dock 11:  Du bist seit 2014 Lehrbeauftragter im Studiengang Kommunikationsdesign und betreust seit dem Wintersemester 2017/2018 den Master-Schwerpunkt »Comic/Graphic Novel« an der HBK Saar. Die Comicszene, insbesondere die Webcomicszene, wächst im Saarland ja gerade rasant und du bist als Dozent ja quasi im Epizentrum verortet. Warum entwickelt sich das Thema gerade im Saarland so schnell?  

Jonathan: Das ist schwierig zu beantworten, aber es ist sehr schön zu sehen, wie die Arbeit Früchte trägt und die Studierenden die Aufmerksamkeit bekommen, die sie verdienen. Es wäre jetzt zu einfach zu sagen, dass es etwas mit der französischen Nähe zu tun hat oder mit dem Hype, der um das Medium Webcomics entstanden ist. Aber vielleicht liegt die Wahrheit irgendwo dazwischen.
Junge Menschen, insbesondere Kunststudierende, haben ein besonderes Sendungsbewusstsein und das wird durch Comics eben unterstützt. Zum einen hat es etwas damit zu tun, dass man recht wenige Materialien braucht, um einen Comicstrip zu gestalten, und zum anderen, dass es sich um einen sehr komprimierten Inhalt handelt.

Wie ein Chemiker, der den Überblick über die vielen Zutaten und verschiedenen Wirkungsweisen behalten muss.

Auf der einen Seite bieten Comics also die Möglichkeit, mit wenigen Mitteln neue Welten zu gestalten, und auf der anderen Seite fordern sie eine sehr strenge Pointiertheit. Das ist das perfekte Gleichgewicht zwischen Arbeit und Ertrag. Jeder, der schon mal einen Comic gezeichnet hat, versteht wie viel Arbeit darin steckt. Es gibt unfassbar viele Variablen, die es zu beachten gilt, und manchmal fühlt man sich ein bisschen wie Chemiker, der den Überblick über die vielen Zutaten und verschiedenen Wirkungsweisen behalten muss.
Auf der anderen Seite steht eine barrierefreie Möglichkeit diese Inhalte dann öffentlich zu verbreiten. Zwei Studenten von der HBK haben zum Beispiel letztens mit ihrem neu gegründeten Webcomic-Projekt innerhalb weniger Wochen fast 10.000 Follower eingesammelt. Das ist schon erstaunlich, aber das Ergebnis harter Arbeit. 

Dock 11: Kommen wir zurück zu deiner Illustration.  Wir sehen zwei Figuren, die gemeinsam eine Landschaft durchschreiten. Während eine der beiden, eine starke Kontur hat, könnte man meinen, die andere setze sich nicht so stark vom Hintergrund ab.
Was genau sehen wir denn wirklich? Wieso hast du diese Illustration für Dock 11 angefertigt? 

Unfassbar viele Variablen, die es zu beachten gilt.

Jonathan: Wir sehen eine Art Gefährtenschaft zwischen einer Figur, die gar nicht mehr da ist, und einer anderen, die den Weg dennoch beschreitet. Sie wird wie von Geisterhand geführt. Die Illustration handelt von einer Trennung ohne eine dezidierte Wertung vorzunehmen oder die Beziehung der beiden Charaktere zu erklären. Es könnte sich um eine partnerschaftliche Trennung handeln, aber auch um eine professionelle. Ich möchte das für den Betrachter offen lassen.

Canvas
Illustration: Jonathan Kunz

Dock 11: Siehst du dich auch in einer Art Gefährtenrolle als erster Ansprechpartner im Umfeld junger saarländischer Comiczeichner?

Jonathan: Nein, das würde zu weit gehen. Man tritt schon in einen besonderen Austausch, wenn man gemeinsam an Geschichten arbeitet. Aber da ist mein Selbstverständnis eher das eines Geburtshelfers. Ich versuche das Potential einer Arbeit zu erkennen und dann helfe ich dabei, dieses Potential zu erreichen. Für die Studierenden sind andere Menschen die viel wichtigeren Weggefährten und das ist auch gut so.
Damit meine ich die Menschen, die einem helfen das eigene Leben im Gleichgewicht zu halten. Als kreativer Mensch und besonders als junger, kreativer Mensch leidet man fortwährend unter Wachstumsschmerzen. Man steht in einem dauerhaften Austausch mit sich selbst, dem eigenen Anspruch und der Erwartung der Außenwelt. Wenn da einer der Weggefährten wegbricht, kann das eine sehr schmerzhafte Erfahrung sein. Das hat allerdings erst dann etwas mit mir zu tun, wenn eine*r der Studierenden das in einem Comic oder einer Illustration verarbeiten will.

Dock 11: Danke dir Jonathan und alles Gute für die Zukunft!

Jonathan:  Vielen Dank auch an euch!

Mehr zu Jonathans Rolle in der Saar-Comic-Szene seht ihr auch unserer Dock 11 – Doku Mrs. Frollein <3s Comicblues:

Das Interview führte Matthias Schmitt.