»Im besten Sinn ein Gesamtkunstwerk«
Wir sprachen mit den Bildenden Künstler:innen Claudia Vogel und Dirk Rausch sowie dem Direktor des Saarländischen Staatsballetts Stijn Celis über ihre Kooperation im Rahmen des Tanzstücks »Antikhthon«.
Das Saarbrücker Ehepaar Dirk Rausch und Claudia Vogel, beide Bildende Künstler:innen, haben erstmals mit dem Ballettensemble des Saarländischen Staatstheaters zusammengearbeitet und für das Tanz-Stück »Antikhthon« Kostüme (Claudia) und Bühnenbild (Dirk) entworfen. Zur Wiederaufnahme des gefeierten Werks sprachen wir mit dem Künstlerpaar und Ballettdirektor Stijn Celis über die fruchtbare Zusammenarbeit, die erneut deutlich zeigt, welches Potenzial in unserer Region schlummert.
Dock 11: Hallo Claudia und Dirk. Hallo Stijn. Danke, dass ihr euch die Zeit für ein Gespräch mit uns genommen habt. Claudia und Dirk, wir kennen euch eigentlich als Bildende Künstler:innen. Derzeit ist eure Arbeit aber auch in ganz untypischen Kontexten zu bestaunen. Nämlich in der Szenografie beziehungsweise den Kostümen des Tanzstückes »Antikhthon« von Stijn Celis, das am 24. März wieder ins Programm aufgenommen wurde. Als »szenografischen Geniestreich« bezeichnete die Saarbrücker Zeitung die Video-Projektionen von dir, Dirk. Nicht weniger Lob gab es für die Kostüme, die von dir, Claudia, stammen. Eine solche Kooperation zwischen Bildenden Künstler:innen und einem Haus wie dem SST scheint auf den ersten Blick ungewöhnlich. Wie kam es zu der Kooperation?
Dirk Rausch, Claudia Vogel: Stijn Celis, der Ballettdirektor des Saarländischen Staatstheaters, wurde in Ausstellungen auf unsere künstlerischen Arbeiten aufmerksam – und hat uns dann jeweils einzeln gefragt, ob wir uns vorstellen könnten, an einem solchen Projekt mitzuarbeiten und dafür jeweils Bühnenbild beziehungsweise die Kostüme zu entwerfen.
Dock 11: War das eure erste interdisziplinäre Arbeit oder habt ihr bereits Erfahrungen mit Kooperationsprojekten realisiert, die auch Genre- beziehungsweise Branchengrenzen überschreiten?
Claudia: Für mich ist es die erste genreübergreifende Zusammenarbeit in dieser Art.
Dirk: Auf diesem Gebiet ist es für mich ebenfalls die erste Zusammenarbeit. Meine bisherigen Kooperationen lagen bisher eher im Bereich Architektur, wenn es zum Beispiel um Kunst im öffentlichen Raum ging. So habe ich beispielsweise gemeinsam mit Ulrike Baer und Stefan Ochs den dritten Platz beim Wettbewerb zur Gestaltung des Mahnmals zum namentlichen Gedenken an die jüdischen Opfer der NS-Gewaltherrschaft im Saarland erreicht.
Dock 11: Lieber Stijn, wie ist es für dich als Direktor? War dies die erste Kooperation zwischen einem Ballettensemble, das Du leitest, und freischaffenden Künstler:innen?
Stijn Celis: Nein. Zahlreiche freiberufliche Künstler:innen werden von Stadt- und Staatstheatern beauftragt; Außenstehende glauben oft gar nicht, wie viele das sind. Für uns am Saarländischen Staatstheater ist die Zusammenarbeit mit Freischaffenden völlig selbstverständlich. Bei einem Besuch im Saarländischen Künstlerhaus beeindruckten mich die Arbeiten von Dirk Rausch und Claudia Vogel so sehr, dass ich sofort inspiriert war, mit beiden eine Ballettproduktion machen zu wollen. Ich setzte mich mit ihnen in Verbindung, und so entstand meine erste Kooperation mit diesen saarländischen Künstler:innen.
Für uns am Saarländischen Staatstheater ist die Zusammenarbeit mit Freischaffenden völlig selbstverständlich
Stijn Celis
Dock 11: Wie habt ihr euch auf eure Bühnenbild- beziehungsweise Kostümentwürfe vorbereitet? Habt ihr euch an der Musik orientiert, gab es Vorgaben vom Choreografen Stijn Celis oder ist das Ganze in einem eher kollaborativen Prozess entstanden?
Dirk Rausch, Claudia Vogel: Stijn Celis wollte ausdrücklich, dass in den künstlerischen Entwürfen zu den Kostümen beziehungsweise zum Bühnenbild jeweils unsere eigene künstlerische »Handschrift« zu sehen sein soll. Menschen, die unsere Arbeiten schon vorher kannten, sollen einen gewissen »Wiedererkennungseffekt« spüren. Die Choreografie kannten wir vorher nicht, mit der Musik haben wir uns während des Entwurfsprozesses intensiv auseinandergesetzt. Wir wussten ja, dass es kein »Handlungsballett« war — Xenakis spricht bei seiner Musik von »Konkreter Musik«, deren Töne nur sich selbst bedeuten, das ist in der »Konkreten Kunst« ebenso. Deshalb gab es hier von Anfang an eine Parallele. Stijn Celis hat uns während der Vorbereitungsphase regelmäßig im Atelier besucht. Während dieser Gespräche dort sind gemeinsame Ideen entstanden, aus denen sich Entwürfe für Kostüme und Bühnenbild entwickelt haben. Diese Ideen wurden diskutiert, verworfen, neu gedacht — bis wir schließlich an dem Punkt waren, an dem es für uns drei stimmig war.
Dock 11: Claudia, deine Kostüme verleihen den Tänzer:innen in ihren Bewegungen eine ganz besondere Ästhetik, variierend von Science Fiction bis hin zu Raubkatzengestalten. Waren das deine ersten Kostümentwürfe? Wie hast du dich der Realisierung genähert?
Claudia: Ja, es sind meine ersten Kostümentwürfe. In meiner künstlerischen Arbeit gehe ich von einer experimentellen Arbeitsweise aus, bei der der Zufall eine entscheidende Rolle spielt. Hierbei erprobe ich den Farbauftrag und die Wirkung von Farbe auf unterschiedlichen Bildgründen und erforsche dabei die Bildmittel. Meistens arbeite ich seriell, um einen Vergleich zwischen verschiedenen Farbaufträgen und Formen zu bekommen. Bei den Kostümen bin ich genauso vorgegangen. Nachdem feststand, dass die Tänzer:innen Trikots tragen werden, entstanden erste Farbproben auf Papier (kleine Formate).
Über das Experimentieren mit Farben auf verschiedenen glatten Untergründen entstanden Bilder, die als Vorlage für die Trikots dienten. Da ich meine Bilder nicht nur mit dem Pinsel male, sondern die Farbe fließen lasse, auftropfe oder tupfe, entstanden unterschiedliche Farbstrukturen, von denen Stijn Celis für jeden Tänzer und jede Tänzerin eine Auswahl traf. Es entstanden größere Formate mit unterschiedlichen Farbstrukturen, es wurden kleine Stoffproben angefertigt, um die Wirkung auf dem Stoff auszuloten. Später kamen noch farbige transparente Capes hinzu, die die Bewegung der Tänzer:innen am Ende des Stückes in ihren Bewegungsmöglichkeiten einschränken und gleichzeitig mit der Transparenz der Farbe und des Bühnenlichts arbeiten.
Dock 11: Dirk, hast du deine Arbeiten zuvor jemals in dieser Größe präsentiert? Musstest du deine Arbeitsweise den Dimensionen speziell anpassen?
Dirk: In der Präsentation als Bühnenbild ist dies die räumlich größte künstlerische Arbeit, die ich bisher realisiert habe. Ich arbeite in der Regel in einem eher kleinen handlichen Format, das hat etwas mit der Breite der Pinsel zu tun und damit, dass die mit dem Pinsel gezogenen Farbflächen, die grundlegendes Thema meiner Aquarelle sind, sehr konzentriert aus einer bestimmten körperlichen Spannung heraus entstehen. Der Sprung von diesem kleinen Format, von 30 x 40 cm im Entwurf, hin zu 8 x 16 m auf der Bühne musste so konzipiert werden, dass es visuell funktioniert und die Elemente nicht drohen auseinanderzufallen.
Um die einzelnen Aquarellmotive miteinander zu verbinden, habe ich die einzelnen Blätter eingescannt und digital weiter bearbeitet, so dass schließlich eine kleine Animation entstanden ist. Die eigentlich statischen Aquarelle fangen an sich zu bewegen, das ist in meiner Arbeit neu — und ein zusätzlicher neuer Aspekt oder Impuls, der sonst so nicht in meiner Arbeit aufgetaucht wäre.
Es gibt ein großes kreatives Potential mit gut ausgebildeten Menschen in der Region
Dock 11: Wo seht ihr generell weitere sinnvolle Kooperationsmöglichkeiten öffentlicher Kulturinstitutionen mit saarländischen Kreativschaffenden? Wird dieses Potential eurer Ansicht nach genügend ausgeschöpft? Wo können privatwirtschaftlich agierende Kreativschaffende hierbei noch einen innovativen Beitrag leisten?
Dirk Rausch, Claudia Vogel: Kooperationen zwischen öffentlichen Institutionen und Kreativschaffenden halten wir generell für sinnvoll. Es ist prinzipiell schade, dass nicht öfter die Zusammenarbeit mit regional ansässigen Künstler:innen, Designer:innen und Gestalter:innen gesucht wird, sondern dann die Aufträge zum Beispiel nach Hamburg oder Düsseldorf wandern. Allerdings gibt es ein großes kreatives Potential mit gut ausgebildeten Menschen in der Region, das man nicht unterschätzen sollte.
Dock 11: Stijn, die Zusammenarbeit mit Dirk und Claudia schuf faszinierende, hochästhetische Bildwelten und Szenerien und hat gezeigt, welche Potenziale in der Region schlummern. Hat das Staatstheater die freie Kultur- und Kreativszene des Saarlandes immer im Blick? Oder anders formuliert: sind weitere Kooperationen angedacht?
Stijn Celis: Das Saarländische Staatsballett ist immer auf der Suche nach neuen und kreativen Themen und Ästhetiken, und dabei schaue ich natürlich auf die freie Szene im Saarland. Klar ist, dass nicht alles, was mir persönlich gefällt, mit meiner Kompanie umsetzbar ist. Die Zusammenarbeit mit Dirk und Claudia war ein Glücksfall und hat mich weiter ermutigt, weitere Kooperationen mit der freiberuflichen Künstler:innen im Saarland im Blick zu haben.
Dock 11: Solche Kooperationen – egal ob mit öffentlichen Häusern oder der Privatwirtschaft im Kultur- und Kreativsektor – bringen ja für Kreative auch ein zusätzliches finanzielles Standbein. Was würdet Ihr sagen, für wen lohnt sich der Blick über den Tellerrand?
Dirk Rausch, Claudia Vogel: Ein Blick über den Tellerrand lohnt sich ja immer… allerdings ergeben sich solche Kooperationen ja oft, ohne dass man es geplant hat, wie in unserem Fall aus einer Begegnung und gegenseitigem Interesse heraus. Wenn man so etwas angeht, braucht man einen langen Atem und den Willen, das Projekt zu einem guten Ende zu bringen. Das »sich darauf Einlassen« und das Vertrauen in den jeweils anderen Partner halten wir zudem für sehr wichtig für das Gelingen einer solchen Zusammenarbeit.
Dock 11: Seit dem 24. März 2023 steht das Stück wieder auf dem Programm des Staatstheaters. Wie fällt euer bisheriges persönliches Fazit zur Kooperation aus, wie sind die bisherigen Resonanzen von Publikum und Presse?
Dirk Rausch, Claudia Vogel: Wir haben durchweg sehr positive Rückmeldungen zu dieser Kooperation bekommen, sei es durch das Publikum, als auch seitens der Presse. Was uns außerdem sehr gefreut hat, war, dass Choreographen und Verantwortliche aus anderen Theatern – die natürlich erstmal an der Choreographie interessiert waren – das Stück angeschaut haben und uns im Gespräch sehr positives Feedback gegeben haben. Außerdem konnte man feststellen, dass durch die Kooperation auch teilweise ein anderes Publikum in den Vorstellungen zu sehen war, als das klassische »Ballettpublikum«, das sonst regelmäßig zu Tanzvorstellungen geht. Wir glauben schon, dass das so ein bisschen »Win-win« für beide Seiten war.
Aus künstlerischer Sicht war es für uns natürlich sehr reizvoll, uns auf diesen Prozess einzulassen, neue Darstellungsformen und Medien einzusetzen. Zu sehen, dass das Konzept aufgeht und daraus im besten Sinn ein »Gesamtkunstwerk« wird, das in jeglicher Hinsicht funktioniert, hat wohl alle Beteiligten sehr glücklich gemacht.
Das Saarländische Staatsballett ist immer auf der Suche nach neuen und kreativen Themen und Ästhetiken
Stijn Celis
Dock 11: Stijn Celis, zu einer vielfältigen lebendigen Region gehören sowohl große Kulturinstitutionen wie das Staatstheater als auch eine vitale freie Kultur- und Kreativszene. Wie schätzt du dieses Ökosystem als relevanten weichen Standortfaktor ein, insbesondere im Hinblick auf den Transformationsprozess, in dem sich das Saarland aktuell befindet?
Stijn Celis: Kultur ist systemrelevant, und deswegen wäre es um so wichtiger, wenn die Kultur auch ein Bestandteil im geplanten Transformationsprozess sein könnte. In diesem Zusammenhang dürfen wir die Stadt- und Staatstheater und die freie Szene nicht gegeneinander ausspielen. Denn wir profitieren stark voneinander.
Dock 11: Liebe Claudia, lieber Dirk, lieber Stijn, danke für eure Zeit und das Interview! Wir wünschen euch weiterhin viel Erfolg und noch viele spannende Kooperationen!
Das Tanzstück »Antikhthon« ist noch bis zum 11. Juli 2023 im Großen Haus des Saarländischen Staatstheaters zu erleben.
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