Stundensatz ist kein Stundenlohn!
Dieser Beitrag räumt auf mit einem ewigen Missverständnis zwischen Menschen, die selbstständig beruflich tätig sind und jenen, die eine Gehaltsabrechnung am Ende des Monats erhalten und ihre ›Nebenkosten‹ nicht kennen.
Ach, du weißt schon lange, wie man ordentliche und faire Stundensätze berechnet? Sehr gut! Dann brauchst du diesen Text vielleicht nur noch als Argumentationshilfe, um andere Menschen an diesem Wissen teilhaben zu lassen. Wenn dir das nicht so ganz klar ist, dann lies dies! Ich gehe davon aus, dass es schon ein paar Leser:innen werden. Denn in schönster Regelmäßigkeit höre ich mich sagen: »Nee, das kannst du so nicht sagen. Das ist kein Stundenlohn, sondern der Stundensatz!« Oft stellt sich heraus, dass die jeweilige Person das zwar so ungefähr schon weiß, aber so genau dann doch nicht. Manchmal ist sie abhängig beschäftigt, aber gar nicht mal so selten – und das erstaunt mich noch mehr – (solo-) selbstständig tätig.
Das ewige Missverständnis zwischen Selbstständigen und Angestellten
In einem früheren Leben vor meiner Soloselbstständigkeit arbeitete ich eine Zeit lang im öffentlichen Dienst. Damals echauffierten sich in meinem Beisein zwei ältere und eigentlich erfahrene Kolleg:innen in der Verwaltung sehr über die Preise einer freiberuflichen Redakteurin. Die verlangte sagenhafte 45 € pro Stunde. Ich, gerade frisch im regulären Arbeitsleben angekommen, habe dann mal schnell den Taschenrechner bemüht und mit einer sehr groben Rechnung (4 x 40 Stunden/ Monat) herausgefunden, dass ich rund 10 € netto pro Stunde bekam und kurz geschluckt. An dieser Stelle hören viele abhängig Beschäftigte schon mit Schnappatmung auf zu rechnen.
Aber weil ich ja gar nicht mehr so ganz grün hinter den Ohren war, wusste ich, dass es am Ende schon viel mehr war, als in meinen vorigen Kneipen-Jobs, weil Netto ja nicht Brutto ist, sobald man sozialversicherungspflichtig angestellt ist. Also habe ich den nächsten Rechner im Internet bemüht. Ich war im öffentlichen Dienst beschäftigt, deshalb war es dieser hier, für alle anderen tut es auch dieser Brutto-Netto-Rechner. Dann waren es nach meiner Rechnung dann schon rund 16 €/ Stunde, die ich gekostet habe. Besagte Redakteurin lag da also immer noch ganz schön drüber! Neuer Berufswunsch: Selbstständige (und reich) werden!
Warum ist es so wichtig, zu verstehen, was der Unterschied zwischen Stundenlohn und Stundensatz ist?
Tatsächlich wurde ich später Selbstständige, aber aus anderen Gründen. Nachdem ich nämlich mal meinen Stundensatz gründlich kalkuliert habe, war mir recht schnell klar, dass das mit dem »reich werden« eher knifflig wird. Auch mit Stundensätzen jenseits der 45 €/ Stunde. Meine beiden Verwaltungskolleg:innnen dienen hier weiter als Beispiel, denn Sie haben besagte Redakteurin wegen des vermeintlich unverschämten Preises nicht beauftragt. Das ist aber mehr als Pech für die unfair beurteilte Frau. Dass die beiden mit Ihrer Fehleinschätzung nicht allein sind, erlebe ich tagtäglich in meinem Umfeld und auch in unserer Beratungspraxis bei Dock 11. Immer noch ist vielen Menschen überhaupt nicht klar, was an dieser Rechnung nicht stimmt. Das führt zu Problemen mit Wechselwirkungen, teilweise mit gesamtgesellschaftlicher Tragweite, wie gerade in den letzten beiden Jahren Pandemie wieder mehr als deutlich offenbar wurde.
Vor allem Personen, die als Soloselbstständige loslegen wollen, sind nicht verpflichtet, einen Businessplan zu schreiben. Dazu nehmen sie dann auch häufig die entsprechende Beratung nicht in Anspruch. Zieht jemand aber mit so einer vereinfachten Rechnung los und recherchiert noch ein bisschen im Internet, welche Preise dort beispielsweise für Texte gehandelt werden, ist die Story für die nächste Fuck up Night schon so gut wie geschrieben. Denn wirklich sehr viele Menschen starten schon mit nicht tragfähigen Preisen am Markt.
Umgekehrt können aber auch Angestellte, die (Kreativ-) Dienstleistungen beauftragen, Angebote nicht richtig einschätzen, wenn Sie nicht wissen, wie diese Preise entstehen. Dann halten sie es für völlig legitim und fair, über Plattformen Dienstleistungen zu unfassbaren Dumpingpreisen einzukaufen. Ich bin ja nun von Haus aus Texterin und bemühe als Beispiel gerne Wortpreis-Plattformen. Hier werden Aufträge gehandelt, bei denen selbst für schnelle Schreiber:innen bestenfalls sechs bis acht Euro brutto/ Stunde herauskommen. Warum man dabei nicht mit Qualität zu rechnen braucht, hat beisipelsweise Nadja Hintz in Ihrem Beitrag recht anschaulich erläutert. Das gilt aber genauso für Designer:innen, Musiker:innen, Schauspieler:innen, etc. Da unterscheiden sich die Modelle vielleicht in den Details, aber Logo und kleine Geschäftsausstattung für pauschal 99 €? Eine fünfköpfige Band für 150 € auf dem Firmensommerfest? Das sind keine Preise, von denen Menschen leben können. Aber es gibt Menschen, die sie anbieten. Und das ist nicht gut.
Wenn dann nämlich am Ende vom Geld noch so viel Monat übrig bleibt, wird als erstes an den Sozialsicherungskosten gespart. Ganz bestimmt nur ganz kurz! Vielleicht ein halbes Jahr, bis es besser wird. Das Problem ist aber: Es wird nicht besser, wenn man sich da erst mal eingepegelt hat. Sehen wir mal vom tragischen Einzelschicksal ab, trägt dieses Problem im großen Stil zu gesellschaftlichen Verwerfungen bei, wie in den letzten beiden Jahren der Pandemie deutlich wurde. Denn die Stellschrauben, an denen sich mittelfristig unauffällig Kosten für Selbstständige reduzieren lassen, sind Rücklagen und Absicherungen, wie wir später noch sehen werden. Natürlich ist Uninformiertheit nicht die einzige Ursache, die zu Marktverwerfungen führt. Aber wie wollen wir denn für ordentliche Preise streiten, wenn sogar Selbstständige Stundenlohn und Stundensatz nicht sauber auseinanderhalten (können)?
Und wie rechnet man jetzt einen ordentlichen und fairen Stundensatz?
Wir rechnen jetzt mal für eine soloselbstständige Person. Ein Unternehmen mit Angestellten wäre für unseren Zweck jetzt etwas zu kompliziert. Ich schicke auch gleich vorweg, dass ich eine sehr grobe Rechnung mache, die viele Details, die für Einzelfälle relevant sind, nicht berücksichtigt. Nichtsdestotrotz kommen wir damit am Ende auf einen realistischen Betrag.
Also rechnen wir erst einmal aus, wie viel Zeit für die Erwirtschaftung des gewünschten Einkommens überhaupt zur Verfügung steht. Insgesamt hat ein Jahr 365 Tage. Alleine Wochenenden und Feiertage machen ca. 111 Tage aus. Da blieben für 2021 im Saarland 254 Arbeitstage übrig. Davon ziehen wir noch einmal 30 Urlaubstage und im Schnitt 10 Tage wegen Krankheit ab. Ohne Weiterbildung geht es auch als selbstständige Person nicht, also ziehen wir dafür auch einen Mittelwert von fünf Tagen pro Jahr ab. Vertraut mir, das sind gängige Durchschnittswerte, mit denen auch Unternehmer:innen ihr Personal verplanen.
Es bleiben also etwa 209 Tage übrig und pro Werktag nehmen wir acht Stunden Arbeitszeit an, dann kommen 1.672 potenzielle Arbeitsstunden pro Jahr, also 140 pro Monat heraus.
Wenn, ja wenn man jeden Werktag acht Stunden abrechnen könnte. Das geht aber nicht. Je nachdem wie viel Mensch selbst macht, ist man ja noch die eigene IT-Abteilung (warum druckt der Drucker nicht?), Facility Management (wenn wir schon Druckertoner bestellen, wären Papier, ein paar Stifte und neuer Kaffee auch ganz gut). Und wer macht die Buchhaltung, die Umsatzsteuererklärung und das Marketing? All das kostet Zeit und gar nicht mal so wenig. Mit rund 30 % der Arbeitszeit kann man hier locker rechnen. Und wer nicht alle diese Aufgaben selbst übernimmt, kann zwar vielleicht etwas mehr arbeiten, muss aber Dienstleister dafür bezahlen. Das Geld muss ja auch wieder reinkommen.
30 % sieht zwar nach viel aus, ist aber durchaus realistisch. Zwar haben Soloselbstständige auch manchmal Leerläufe, in denen gerade kein Auftrag auf dem Tisch liegt. Dann können sie diese Zeiten mit Fleißaufgaben wie der Buchhaltung auffüllen. Das klappt aber nun wirklich nicht immer und auch in diesen Zeiten muss man essen und Miete zahlen. Da ich aber auch keine Steuerberatung kenne, die auch nur für 20 €/ Stunde arbeitet – wir ahnen auch so langsam, dass das gute Gründe hat – machen wir die Buchhaltung selbst und ziehen also 30 % produktive Arbeitszeit ab. Eine sehr beratungsintensive Tätigkeit kommt hier noch höher. Aber so bleiben noch 1.170 Stunden pro Jahr, also 97,5 Stunden pro Monat, die wir wirklich abrechnen können.
Und welchen Lohn erwarten wir am Ende des Monats?
Und wie viel wollen wir jetzt Ende des Monats auf dem Konto haben? Das ist ja nun sehr individuell, daher orientiere ich mich am Durchschnittsverdienst, den ich für Texter:innen mit mittlererer Erfahrung gefunden habe. Das sind rund 2.959 € brutto, unverheiratet und ohne Kinder sind das 1.962 € netto. Geteilt durch unsere 97,5 Stunden ergibt das einen Betrag von gerundet 20 € pro Stunde, analog zum Nettolohn.
Aber wir bestreiten als Selbstständige ja nicht nur unsere Lebenshaltungskosten. Dazu kommen noch Arbeitsmittel und ihre Erhaltung. Selbst für Menschen, die keinen Gerätepark anschaffen und erhalten müssen, kommt da einiges zusammen: Hardware, Software, Büromaterial, Internet, Fortbildung. Das steht ja alles nicht kostenlos auf der grünen Wiese herum. Dazu dann noch ein Büro samt Nebenkosten und Mobilität zu Kund:innen, Branchenevents, etc. sind auch mit einzurechnen. Ach, und die Versicherungen. Je nach Branche ist das mehr oder weniger.
Gehen wir mal von einem Büroarbeitsplatz für 150 € aus. Das variiert sehr nach Größe und Standort und ist selbst für Saarbrücker Verhältnisse ziemlich günstig. Dazu kommen Kommunikationskosten (Smartphone, Internet, Telefon, Porto). Die veranschlagen wir mal mit 70 € pro Monat. Für Software und Hardware zahle ich pro Monat im Schnitt 350 €. Mitgliedschaften in Netzwerken, Berufsverbänden und Gebühren für die Steuerberatung schlagen bei mir mit 115 €/ Monat zu Buche. Mobilität setzen wir ganz günstig mal ohne Auto und nur mit Rad und ÖPNV mit 100 €/ Monat an. Meine Weiterbildungskosten im vergangenen Jahr beliefen sich auf durchschnittlich 100 €/ Monat. Das sind Betriebskosten in Höhe von 985 €/ Monat. Macht dann durch unsere 97,5 Stunden geteilt, einen Aufschlag von 10,10 €. Unsere Stunde kostet also schon 30,10 €.
Und jetzt kommen die Versicherungen. Das ist die Position, die den meisten Spielraum lässt, wenn man knapp bei Kasse ist. Rund 1.600 € monatlich für Krankenkasse und Pflegeversicherung, Arbeitslosenabsicherung, Altersvorsorge, Betriebshaftpflicht, Investitionsrückslagen, Rentenversicherung und Co. empfiehlt die AGD zu veranschlagen, das macht 16,50 €/ Stunde. Unsere Stunde kostet jetzt gerundet schon 46,50 €. Und da sind noch keine Steuern bezahlt. Dafür legen wir pauschal mal 30 % zur Seite und kommen bei einem Stundensatz von 60,45 € an. Je nachdem, ob Gewerbesteuer fällig wird oder nicht, kann es auch mehr oder weniger sein.
Diese Rechnung ist sehr grob und es gibt einige Variablen, an denen gedreht werden kann. Eine private Krankenversicherung schlägt zum Beispiel anders zu Buche als die freiwillig gesetzliche Versicherung. Ich habe nur einen Büroarbeitsplatz einkalkuliert, kein komplett eigenes Büro, das mehrere 100 € zusätzlich kostet. Dafür habe ich eine halbwegs ordentliche Vorsorge- und Versicherungsstruktur angenommen. Aber kein Auto, das kostet auch um einiges mehr. Auch die Art und Weise, Aufträge zu kalkulieren, unterscheidet sich von Dienstleister zu Dienstleister. Jemand der in Ihrem Unternehmen Workshops anbietet, muss für jede Stunde, die er für Anwesenheit auf die Rechnung schreibt, noch mal das eineinhalb- bis dreifache der Zeit für Vor- und Nachbereitung drauf rechnen. Die meisten geben Aufgaben wie Buchhaltung, Steuer und oft auch IT- oder Marketingdienstleistungen ab, damit sie sich auf ihr Kerngeschäft konzentrieren können.
Aber insgesamt taugt diese Rechnung, um den Unterschied zwischen Stundensatz und Stundenlohn deutlich zu veranschaulichen. Die meisten Arbeitnehmer:innen würden übrigens auch ganz schön mit den Ohren schlackern, wenn sie wüssten, was sie ihre Firma tatsächlich kosten und wie viel sie für ihre Stelle erwirtschaften müssen. Denn mit höheren Qualifikationen, Berufserfahrung, Fortbildungen und zusätzlichen Aufgaben und Angeboten rechtfertigen sie den Wunsch nach einem höheren Salär am Ende des Monats. Rechnet man die unternehmerischen Kosten dazu, ist man schnell bei Stundensätzen zu 70 bis 120 €.
Diese werden aber oft nicht gezahlt und manchmal auch gar nicht verlangt, was zu Problemen führt. Deshalb gibt es »SO_LOS! Die Initiative für faire Honorare«, eine Initiative für faire Honorare. Aktuell (bis September 2022) erhebt die Intiative Daten zu Durchschnittshonoraren. Wenn du also selbstständig bist, fülle diese Umfrage doch bitte aus!
Falls du dich gerade mit dem Gedanken trägst, dich selbstständig zu machen, nimm Gründungsberatung in Anspruch! Es gibt viele Anlaufstellen und Möglichkeiten, auch für komplexe Projekte: So versorgen wir dich beispielsweise beim Tag der Kreativwirtschaft einmal im Jahr mit dem nötigen Wissen für deine Gründung! Im Netzwerk der Saarland Offensive für Gründung findest du die richtigen Anprechpartner:innen rund um deine angestrebte Selbstständigkeit!
EDIT: Ergänzend möchte ich zwei Stundensatzrechner vorstellen, die von unterschiedlichen Enden an die Sache herangehen, aber ähnlich erhellende Ergebnisse bringen.
Einmal den Kajy Stundensatzrechner, den die Allianz deutscher Designer (AGD) e.V. herausgibt. Er geht von deinem Wunschverdienst aus und rechnet Betriebskosten Stück für Stück drauf. Der Rechner für Stundensätze von akademie.de zieht diese vom geplanten Stundensatz ab und rechnet aus, was am Ende übrig bleibt.
Weitere Infos rund um die Kultur- und Kreativwirtschaft findet ihr wie immer in unserem Magazin!