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Best Practice

Vom Hackathon zur Bundesförderung: »How To: Spiele zur Kunst«

Vom Kultur-Hackathon »Coding Da Vinci« zur Bundesförderung: Nina Jäger, Sandra Kraemer, Catharina Grözinger und Katja Rempel entwickelten eine Kunstvermittlungs-App mit Daten des Instituts für aktuelle Kunst in Saarlouis. Nun kann das Cross-Innovation-Projekt weiter professionalisiert und ausgebaut werden. Möglich macht das eine Förderung des Bundesprogramms »Kultur.Gemeinschaften« und die Unterstützung des Instituts für aktuelle Kunst. Wir sprachen passend zum Start der zweiten Runde der Bundesförderung mit den beiden Kunstwissenschaftlerinnen Nina Jäger und Sandra Kraemer über ihr innovatives Projekt »How To: Spiele zur Kunst«.

Interview »How To: Spiele zur Kunst«.

Dock 11: Schön, dass ihr euch Zeit genommen habt, unsere Fragen zu beantworten! Ihr habt interdisziplinär eine interaktive Kunstvermittlungs-App entwickelt. Könnt ihr unseren Leser:innen das Projekt einmal kurz vorstellen?

Sandra Kraemer
Sandra Kraemer

Sandra: Unsere Web-App ist als Tool zur Kunstvermittlung gedacht und ist für Kinder, Jugendliche und Erwachsene gleichermaßen konzipiert. Wir stellen jeweils eine:n Bildende:n Künstler:in und deren/ dessen Werk vor. Man braucht keine Vorkenntnisse im Bereich Bildende Kunst und muss keine Software downloaden. Man öffnet einfach die Web-Adresse im Browser und steigt mit der App in das Werk ein.
Der Prototyp ist dem konkreten Künstler Jo Enzweiler (* 1934 in Merzig-Büdingen) gewidmet. Aktuell arbeiten wir an einer zweiten Version über die Fotokünstlerin Monika von Boch (1915-1993 in Mettlach/Saar). Das Prinzip der App ist immer das gleiche: Die Nutzer können in interaktiven Spielen selbst künstlerische Prozesse nachvollziehen und steigen so in Themen, Arbeitsweisen und das Werk der Künstler:innen ein.

»How To:« selbst künstlerische Prozesse nachvollziehen

Bei der Vorstellung der Künstler:innen haben Nina und ich uns zunächst immer die Frage gestellt: Was ist charakteristisch für das Werk? Welches sind seine zentralen Themen? Welche Bildaussagen trifft es und wie wollen wir das alles anschaulich, plausibel und leicht nachvollziehbar vermitteln? Nachdem die zentralen Punkte definiert waren, haben wir gemeinsam mit Katja und Catharina Spielideen zu den einzelnen Themen entwickelt.

Die beiden Gestalterinnen, die zugleich Programmiererinnen sind (Catharina Grözinger und Katja Rempel, Anm. d. Red.), haben im digitalen Medium spannende Umsetzungsmöglichkeiten gefunden, die den Werkthemen gerecht werden, ohne diese zu kopieren oder zu imitieren. So können die Spieler:innen der App die künstlerischen Ideen durchspielen und in der aktiven Auseinandersetzung eigene bildliche Erfahrungen sammeln. Jedes Spiel ist nach dem gleichen Prinzip aufgebaut: Eine Frage stellt das Thema in den Raum, worauf wir mit einem Künstler:innenzitat anworten. Ein Einstieg also, der die Spieler aktiv anspricht und zugleich eine Idee davon vermittelt, wie der/die Künstler:in selbst mit dem Thema umgeht.

2D- und 3D-Spiele

Dann folgt die Spielanleitung und das Spiel, das diesem Thema gewidmet ist. Es gibt 2D- und 3D-Spiele, in denen die Spieler:innen je nach Aufgabenstellung und Thema ganz unterschiedliche Erfahrungen machen können. Die Anwender:innen können die Spiele so oft ausprobieren, wie sie möchten und dabei zu immer neuen Bildergebnissen kommen, die sie auch speichern oder mit Freund:innen teilen können. Im Anschluss an jedes Spiel werden Werke der Künstler:innen vorgestellt (mit Fotos, Beschreibung, z.T. Video- und Audiosequenzen), die diesem Thema gewidmet sind. Hier können die Anwender:innen das zuvor selbst Ausprobierte zum Schaffen der Künstler:innen in Bezug setzen. Für interessierte Nutzer:innen gibt es zudem die Möglichkeit, sich über externe Links intensiver mit einzelnen Themen auseinanderzusetzen.

Dock 11: Der Ursprung eures Projektes liegt in der Teilnahme am Kulturhackathon »Coding Da Vinci Saar-Lor-Lux«. Wie habt ihr dort zueinander gefunden und hattet ihr schon konkrete Vorstellungen für euer Projekt?

»Coding Da Vinci Saar-Lor-Lux«

Nina: Als freie Mitarbeiterinnen des Instituts für aktuelle Kunst im Saarland, das ein An-Institut der Hochschule der Bildenden Künste Saar ist, haben wir uns zunächst als Datengeberinnen mit dem Datensatz »Jo Enzweiler, Kunst im öffentlichen Raum 1962-2010«, den Sandra selbst wissenschaftlich erarbeitet hat, am Hackathon beteiligt. Da der Datensatz beispielhaft für die Institutsarbeit stehen kann und wir ihn sowohl in gedruckter als auch in digitaler Form bereits mehrfach veröffentlicht hatten, war es für uns besonders spannend zu sehen, welche anderen Formen der Darstellung und Vermittlung solcher Datensätze denkbar wären.

In der Vorstellungsrunde brachten wir die Möglichkeit einer interaktiven Anwendung für Kinder und Jugendliche ins Spiel. Catharina hat dann eine Idee gepitcht, die uns aufgrund ihres visuellen und spielerischen Ansatzes gleich überzeugt hat. Und so ging es offenbar auch Katja, die unmittelbar darauf zu uns stieß und die – genau wie Catharina – Designerin ist und über die Arbeit mit AR und 3D-Konstruktion den Einstieg ins Programmieren gefunden hat. Man kann also sagen, dass wir über unseren visuellen Zugang, unser sehendes Denken, zueinander gefunden haben.

Dock 11: Wie beurteilt ihr das Potenzial solcher Hackathons, um interdisziplinär neue Mitstreiter:innen zu finden? Vor allem in Hinblick auf Förderung von Cross Innovation und neuer Arbeitsweisen?

Für uns hat es sich in einer prekären Situation als Investition in die Zukunft erwiesen

Nina: Das Potenzial ist ungeheuer groß, auch wenn man sagen muss, dass in diesem Projekt sehr viel un- oder nur geringfügig bezahlte Arbeit von allen Seiten steckt, die sicher nicht alle immer leisten können. Wenn es einen Punkt gibt, der problematisch und schwer lösbar ist in dieser Hinsicht, ist es wohl dieser. Für uns hat es sich in einer prekären Situation als Investition in die Zukunft erwiesen und das ist dann vielleicht schon ein außerordentlicher Glücksfall. Der offene, spielerische Ansatz von Hackathons, die Möglichkeit outside-the-box zu denken, Akteur:innen und Inhalte in neue Kontexte und Zusammensetzungen zu bringen, birgt die Chance auf außergewöhnliche Lösungen.

Nicht zuletzt fördert es aber auch das Anstoßen kollektiver Prozesse, die Entwicklung neuer Modelle und die Nutzbarmachung neuer Technologien für die Zusammenarbeit. Auch das können unschätzbare Erfahrungen sein, die man in sein Arbeitsumfeld zurückspiegeln kann und sollte.

Dock 11: Wie können wir uns die Zusammenarbeit zwischen den so vordergründig unterschiedlichen Disziplinen Informatik und Kunstgeschichte vorstellen? Gibt es vielleicht auch Hürden zu überwinden, die in einer grundsätzlich verschiedenen Herangehensweise liegen?

Nina: In unserem Fall waren es ja programmierende Designerinnen, mit denen wir zusammengearbeitet haben, so dass es schon von vornherein eine Schnittstelle gab und auf beiden Seiten sozusagen ein Eingangstor. Interessant waren die medialen und inhaltlichen Übersetzungsprozesse, die wir uns gemeinsam erarbeitet haben, in vollem Bewusstsein darüber, dass wir es mit Kunstwerken zu tun haben, in denen es ja immer auch genau darum geht: Wie und mit welchen Mitteln wird etwas dargestellt? Warum ist etwas genau so und nicht anders? Was bedeutet das innerhalb eines Werkes und eines Werkzusammenhangs?

Wie können manuelle Techniken digital nachvollzogen werden, ohne dass man sie ad absurdum führt?

Wir haben uns gefragt: Wie können manuelle Techniken digital nachvollzogen werden, ohne dass man sie ad absurdum führt? In welchem Medium bewegen wir uns im virtuellen Raum? Wie verhalten sich realer und virtueller Raum zueinander?

Für die Programmiererinnen hieß das, sich genau in die durch uns vermittelten künstlerischen Konzepte einzudenken und eine adäquate, einfache Übersetzung ins Digitale zu finden, eine Übersetzung, die diese Bildwelt eher reflektiert, als dass sie sie imitiert.

Weil wir der Sensibilität des Gegenstandes unbedingt gerecht werden wollten, gab es viel Feinabstimmung, spannende Gespräche, Aha-Erlebnisse auf beiden Seiten und es war immer wieder toll und erstaunlich zu sehen, mit wie viel Einfühlungsvermögen Katja und Catharina nach Lösungen suchten und Spielideen entwickelten, indem sie aus ihrem Medium heraus dachten. Wenn man Code als formbares Material begreift, liegen Kunst oder Gestaltung und Informatik eigentlich ohnehin gar nicht so weit auseinander, wie man das vielleicht denken würde.

Der Sensibilität des Gegenstandes unbedingt gerecht werden

Dock 11: Wie kam es zur Zusammenarbeit mit dem Institut für aktuelle Kunst in Saarlouis und letztlich zur Bundesförderung durch »Kultur.Gemeinschaften«, dessen zweite Runde am 16. August 2021 startet?

Sandra: Das Institut war als Datengeber durch den Hackathon von Anfang an mit von der Partie. Als freie Mitarbeiterinnen sind wir mit den Inhalten sehr gut vertraut und haben deshalb auch bei der Auswahl der Künstlerin für die zweite App-Version zunächst in den Archivbeständen des Instituts recherchiert. 

Nina: Der Hackathon kam zu einem Zeitpunkt des Übergangs. Der damals scheidende Institutsdirektor Prof. Jo Enzweiler und die ebenfalls inzwischen in den Ruhestand eingetretene wissenschaftliche Mitarbeiterin Dr. Claudia Maas haben uns damals volle inhaltliche Rückendeckung gegeben, aber leider war das Projekt nicht finanziert.

Nachdem wir mit dem Konzept der Web-App zwei der Coding da Vinci Stipendien gewonnen hatten und klar war, dass wir sie weiterentwickeln konnten, haben wir in Absprache mit Dr. Andreas Bayer, der das Institut seit Januar leitet und der von dem Projekt sofort begeistert war, den Antrag für das Programm »Kultur.Gemeinschaften« der Kulturstiftung der Länder gestellt. Die Förderung, die zu einem Teil auch eine Förderung für digitale Ausstattung ist, kommt der antragstellenden Institution zugute, ermöglicht dieser aber auch, uns mit Werkverträgen weiter zu beschäftigen, um das Konzept inhaltlich weiterzuentwickeln.

Nina Jäger
Nina Jäger

Förderung durch das Bundesprogramm »Kultur.Gemeinschaften«

Dock 11: Euer Projekt »How To: Spiele zur Kunst«, begann ja eigentlich in eurer Freizeit. Zu welchen insbesondere beruflichen Veränderungen führte denn die Förderung durch das Bundesprogramm »Kultur.Gemeinschaften«?

Nina: Vielleicht ist es eher eine berufliche Weiterentwicklung als eine grundsätzliche Veränderung. »How To:« hat zunächst mal den Weg für unsere weitere freie Mitarbeit am Institut geebnet. 

Sandra: Durch die Fördermittel der Kultur.Gemeinschaften können jetzt sowohl die benötigte digitale Ausstattung als auch die Honorare für die inhaltliche, gestalterische und technische Umsetzung finanziert werden. Aus dem ursprünglichen Datengeber Institut für aktuelle Kunst ist nun der Herausgeber der App geworden und neue Vermittlungsangebote können sich in dieser Form anschließen. 

Aus dem ursprünglichen Datengeber ist nun der Herausgeber der App geworden

Nina: Die Schwerpunktverschiebung von gedruckten oder physischen hin zu digitalen Vermittlungsformaten hat mit diesem Projekt weiter Fahrt aufgenommen und das hat natürlich auch Einfluss auf unsere Arbeit und unsere Arbeitsmethoden. Die inhaltliche Arbeit, die Auseinandersetzung mit künstlerischen Konzepten und künstlerischer Produktion bleibt jedoch bestehen. Das hat ja auch viel mit Kontexten zu tun.

Dock 11: Was sind nun die nächsten Schritte für »How To: Spiele zur Kunst«? Habt ihr vor, das Projekt zu monetarisieren und wenn ja, wen seht ihr als mögliche »Kunden«?

Nina: »How To:« ist für den Einsatz im kunstpädagogischen Bereich konzipiert, das heißt es ist sowohl für Museen und Ausstellungshäuser als auch für Schulen interessant. Der Schritt, der für uns jetzt ansteht, ist, die App einer breiteren Öffentlichkeit vorzustellen, sie in Workshopformaten im Einsatz zu erproben und Kontakt zu Partnerinstitutionen zu suchen. Es wäre natürlich schön und wünschenswert, wenn sich daraus Aufträge für weitere Versionen der App ergeben würden.

Monetarisierung

Wenn es um Monetarisierung geht, sind sowohl Workshops als auch neue App-Ausgaben zu verschiedenen Künstler:innen oder Kunstrichtungen ein denkbares Szenario. Der Zugang zur App bleibt aber frei und kostenlos, alle Lizenzen sind entsprechend der Coding da Vinci Philosophie Creative Commons Lizenzen.

Dock 11: Galerien und Museen waren massiv von der Corona-Pandemie betroffen. Worin seht ihr das Potenzial solcher digitalen Tools, um Kunstinstitutionen nicht nur in Zeiten eines Lockdowns ihren Zielgruppen digitale Alternativen zu bieten, sondern langfristig und nachhaltig neue Zielgruppen zu akquirieren?

Nina: Das Schöne an »How To:« ist, dass es zwar ein digitales Projekt für mobile Endgeräte ist, aber als solches dazu auffordert, raus zu gehen, sich darüber klar zu werden, wo man sich gerade befindet, bewusst zu sehen und selbst aktiv zu werden. Bei »How To:« gehen virtueller und realer Raum ineinander über und reflektieren sich gegenseitig.

Menschen den Zutritt zu Institutionen erleichtern

Nicht nur für Kunstinstitutionen ist es wichtig, zu erkennen, das der virtuelle Raum inzwischen genauso zu unserer Erfahrungswelt dazugehört wie jeder andere Raum, der von Künstler:inen bespielt, geformt und gestaltet werden kann. Es ist also grundsätzlich kein Ersatz für physisch erfahrbare Gegenwart, sondern ein weiterer Möglichkeitsraum für bestimmte Formen der Wahrnehmung und Sichtbarmachung. Gerade an dieser Schnittstelle ist es interessant, die Möglichkeiten des Digitalen auszuloten.

Ein wichtiger Aspekt digitaler Angebote ist sicher auch, dass sie für viele weniger mit Schwellenangst belastet und allein schon deshalb hervorragend dazu geeignet sind, Menschen den Zutritt zu Institutionen zu erleichtern. Da ist gerade sehr viel in Bewegung und es wird spannend sein, zu sehen, wie das auch unser Verständnis von Institutionen in Zukunft verändern wird.

Dock 11: Vielen Dank an euch beide für die spannenden Einblicke und weiterhin viel Erfolg mit »How To«!

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