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»Wir brauchen transparente Standards und faire Berechnungsmodelle.«

Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di setzt sich mit ihrem Modell der Basishonorare für eine faire Bezahlung von Kunst- und Kulturschaffenden ein. Wir sprachen mit Lisa Mangold, Bereichsleiterin Kunst und Kultur bei der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, über das Modell, auf welchen Prinzipien es beruht, wie es sich berechnet, sowie über die Chancen einer bundesweiten Etablierung.

»Alle Kolleg:innen sollen für die gleiche Tätigkeit gleich bezahlt werden.« alternativ: »Wir brauchen transparente Standards und faire Berechnungsmodelle.«

Viele Selbstständige im Kulturbereich haben trotz lebenslanger Projektarbeit keine finanzielle Absicherung, insbesondere in Krisensituationen. Um dieser Situation Abhilfe zu verschaffen, entwickelte die Gewerkschaft ver.di ein Berechnungsmodell, basierend auf dem Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes (TVöD), das die reale Arbeitszeit sowie die unternehmerische Kalkulation berücksichtigt. Ziel von ver.di ist die verbindliche Verankerung dieser Honorare in Förderrichtlinien, um eine faire Entlohnung sicherzustellen.
Die Gewerkschaft ver.di kann nach der Vorstellung ihres Modells zur Berechnung von Basishonoraren für freischaffende Kunst- und Kulturschaffende erste Erfolg verbuchen: Mecklenburg-Vorpommern und Bremen haben bereits Basishonorare für durch das Land geförderte Projekte realisiert, auch Brandenburg und NRW sind dabei, entsprechende Richtlinien umzusetzen. Auch auf Bundesebene soll laut Kulturstaatsministerin Claudia Roth ab 2024 eine Honoraruntergrenze gelten.

Dock 11: Liebe Frau Mangold, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für unsere Fragen nehmen! Können Sie unseren Leser:innen zum Einstieg erläutern, wieso ein solches Modell für Basishonorare überhaupt notwendig ist? Welche grundlegenden Prinzipien und Erfahrungen stehen hinter Ihrer Forderung nach fairen Honoraren für selbstständige Kreative?

Wir brauchen transparente Standards und faire Berechnungsmodelle.

Lisa Mangold: Die Einkommen von selbstständigen Kulturschaffenden sind zu niedrig. Dabei wird Kultur zu großen Teilen aus Steuergeldern finanziert. In der staatlichen Kulturförderung und Auftragsvergabe wurde bis lang zu wenig auf angemessene Honorare geachtet und es fehlt an Mindeststandards bei der Mittelvergabe. Alle müssen umdenken: Kulturförderung muss Kulturarbeit fair finanzieren. Wir brauchen transparente Standards und faire Berechnungsmodelle. Jede selbstständige Arbeit, die durch öffentliche Kulturförderung finanziert ist, soll fair bezahlt werden.

Doch es wäre zu einfach, den staatlichen Geldgeber:innen die alleinige Verantwortung zu übertragen. Selbstständige Kreative drücken ihre Honorare auch selber, sie rechnen bei Projektanträgen ihre eigene Arbeitszeit klein und kalkulieren unwirtschaftliche Honorare. 

Selbstständige Kreative drücken ihre Honorare auch selber.

Dock 11: Könnten Sie bitte kurz erläutern, wie das transparente Berechnungsmodell für die Basishonorare funktioniert? 

Lisa Mangold: Entscheidend ist, dass bei der Berechnung der Honorare die reale Arbeitszeit vergütet wird und wir nachvollziehbare Honorarsätze verwenden.
Wir haben, angelehnt an den Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes, Stunden-, Tages- und Wochensätze entwickelt. Dabei sind Faktoren, die für Solo-Selbstständige entscheidend sind, einberechnet. Die Honorarsätze beinhalten Ausgaben für Betriebsausgaben und Sozialversicherungen für Selbstständige sowie projektübergreifende Arbeitszeit, die für den Erhalt der Selbstständigkeit relevant sind. Ebenso sind Wochenende, Feier- und Urlaubstage, Krankheitstage eingeplant. Sie merken, der Weg zu den Sätzen ist komplex. Das Ergebnis jedoch einfach nachzuvollziehen.

Nehmen wir ein Beispiel aus der kulturellen Bildung: Eine Kollegin gibt einen dreistündigen Workshop. Das Honorar ergibt sich nicht bloß aus dreimal den Stundensatz. Schließlich gehört die Auftragsklärung, Kommunikation mit Partner:innen und Teilnehmenden, Vor- und Nachbereitung und die Dokumentation dazu. Die Ausgangsfrage lautet, wieviel Arbeitszeit fällt für die Kollegin real an? Die in ver.di organisierten Kolleg:innen, die an der Entwicklung des Modells beteiligt waren, sind auf eine Arbeitszeit, neben der Durchführung, von sechs Stunden gekommen. Für einen dreistündigen Workshop arbeitet sie real neun Stunden. In der für kulturelle Bildner:innen angemessenen Entgeltstufe 11 sind wir auf einen Stundensatz von 51,30 € gekommen, wenn sie Mitglied der KSK sind. Somit liegen die Honorare für einen dreistündigen Workshop (neun Stunden Arbeitszeit) bei 462 €. Die Grundlagen sind transparent und für alle nachzurechnen. Das macht die Stärke des Modells aus.

Die Grundlagen sind transparent und für alle nachzurechnen. Das macht die Stärke des Modells aus.

Dock 11: Welche Schritte planen Sie, um die verbindliche Verankerung des Modells in weiteren Förderrichtlinien der Bundesländer zu erreichen? Was stellen die größten Hürden bei der Implementierung des Modells auf kommunaler, Landes- und Bundesebene dar?

Lisa Mangold: In ver.di organisierte Kolleg:innen und ich nehmen an unterschiedlichen Runden zur Implementierung von fairen Honoraren auf allen Ebenen teil und werben auf öffentlichen Veranstaltungen für faire Bezahlung in der Kultur. Als Gewerkschafterin setze ich mich dafür ein, dass Kolleg:innen angemessen bezahlt werden und nicht die eine Sparte besser bezahlt wird als die andere: gleiches Geld für gleiche Arbeit.
Daher sehe ich auch die zahlreichen, teilweise voneinander abweichenden Empfehlungen von Vereinen und Verbänden kritisch. Ich habe die Sorge, dass die kulturelle Sparte mit dem stärksten Lobbyverband am Ende die besten Honorarstandards für sich setzt, das kann nicht das Ziel sein.

Darüber hinaus darf eine angemessene Bezahlung nicht gegen kulturelle Vielfalt ausgespielt werden. Selbst Politiker:innen halten uns entgegen, dass höhere Honorare zu weniger Kultur führen würden, da dann weniger finanziert werde. Was ein unsolidarischer Ansatz, bislang wurde an vielen Orten das reiche kulturelle Programm auf Kosten armer Künstler:innen ermöglicht. Wer Kultur will, muss sie finanzieren. Die entsprechenden Kulturetats müssen erhöht werden, dann braucht es auch keine Kürzungen im Programm geben. 

Dock 11: Welche Reaktionen oder Bedenken gegenüber dem Modell haben Sie bislang wahrgenommen? 

Die Idee, den TVöD als Grundlage zu verwenden, hat Applaus bekommen.

Lisa Mangold: Die Idee, den TVöD als Grundlage zu verwenden, hat Applaus bekommen. Besonders von denjenigen, die sich seit langem mit dem Thema beschäftigen und auch auf der Suche nach einer festen Bemessungsgrundlage waren.
Widerstand kommt gelegentlich von Kommunalpolitiker:innen, die selbst als Selbstständige in anderen Branchen arbeiten. Sie wehren sich gegen ein transparentes Berechnungsmodell da sie es gewohnt sind, ihre Honorare je nach Nachfragelage zu erhöhen und keine Vorgaben wollen. Ihnen fehlt schlicht die Vorstellung, wie niedrig Honorare in der Kultur sind – und dass wir nicht vom freien Markt ausgehen, sondern von der staatlichen Kulturfinanzierung.

Kreative zweifeln manchmal, ob sie ihre Arbeit wirklich nach Arbeitszeit berechnen können und meinen, der Tarifvertrag sei für sie nicht anwendbar, da sie keine klassische Ausbildung haben, und dann viel zu niedrig eingestuft werden.
Bedenken bezüglich der Eingruppierung lassen sich schnell aus dem Weg räumen. Wir nutzen in unserem Modell vier Entgeltgruppen, um die verschiedenen Tätigkeiten differenziert abzubilden. Ob das Honorar in der Entgeltgruppe 5 oder 11 kalkuliert wird, hängt nicht damit zusammen, ob die Künstler:in ungelernt oder studiert ist – sondern was für die Tätigkeit an Fähigkeiten notwendig sind. In der Kultur gibt es kurvige Lebensläufe und autodidaktische Aneignungsformen, das darf kein Nachteil sein, alle Kolleg:innen sollen für die gleiche Tätigkeit gleich bezahlt werden.

Und was den Zweifel der Anwendbarkeit angeht: Aus meiner Perspektive haben auch die Kolleg:innen selber zu lange den Mythos aufrecht erhalten, Kulturarbeit sei so anderes als alles andere und nicht zu kalkulieren. Für die Erstellung unseres Modells haben sich Kreative aus allen Sparten bewusst mit ihrer Arbeit auseinandergesetzt und aufgeschrieben, wann sie arbeiten. Schnell hat sich gezeigt: die Arbeitszeit lässt sich messen, auch in Kunst und Kultur. 

Für die Erstellung unseres Modells haben sich Kreative aus allen Sparten bewusst mit ihrer Arbeit auseinandergesetzt.

Dock 11: Wie können sich denn selbstständige Kreativwirtschaftler:innen dafür engagieren, dass solche Modelle auch in Ihrer Region eingeführt werden?

Lisa Mangold: Kreative sollen sich bewusst machen, sie arbeiten kreativ und individuell – aber die Rahmenbedingungen sind ein kollektives Thema. Es ist ein Bestandteil in der Auftragsklärung und bei Projektanträgen transparente und faire Honorare einzufordern. Aber wichtig ist auch, eine Erhöhung von Mitteln, die Verankerung von fairen Honoraren in den Förder- und Vergaberichtlinien kollektiv einzufordern. 

Dock 11: Wenn es um die Mitgliedschaft in Gewerkschaften geht, denken die wenigsten an Selbstständige. Können sie unseren Leser:innen abschließend noch kurz darstellen, welchen Benefit freischaffende, soloselbstständige Kreative aus ihrer Perspektive von einer Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft haben? 

Lisa Mangold: Das Sozialversicherungssystem in Deutschland geht noch immer davon aus, dass die abhängige, unbefristete Vollzeitbeschäftigung die Norm ist. Dem ist nicht mehr so, Kolleg:innen arbeiten in Teilzeit, haben mehrere Jobs, arbeiten selbstständig und abhängig beschäftigt (hybrid) oder als Solo-Selbstständige. Innerhalb dieser vielfältigen Arbeitsrealitäten Mitbestimmung, angemessene Bezahlung und soziale Absicherung zu erkämpfen, ist das Ziel aller Kolleg:innen in der Gewerkschaft.

Auch die Arbeitsbedingungen für Solo-Selbstständige verbessern wir nur gemeinsam.

Auch die Arbeitsbedingungen für Solo-Selbstständige verbessern wir nur gemeinsam, sei es durch kollektive Verhandlungen, Lobbyarbeit oder Protest auf der Straße. In den Gewerkschaften ist so viel Expertise und Energie gebündelt, davon können Solo-Selbstständige profitieren.

Es gibt auch unmittelbare Benefits: In der Gewerkschaft erhalten die Kolleg:innen Beratung und Rechtsschutz – egal, ob sie abhängig oder selbstständig arbeiten oder beides gleichzeitig. Unser Team von selbststaendigen.info steht für kollegiale berufliche Beratung bereit und hat mit dem »Ratgeber Selbstständige« ein wichtiges Handbuch für Solo-Selbstständige geschaffen.
Und ver.di ist Teil des Verbundprojektes »Haus der Selbstständigen«. Darin fördern wir die Weiterbildung, Vernetzung und Organisierung von Solo-Selbstständigen.

Dock 11: Liebe Frau Mangold, wir danken Ihnen für die vielen interessanten Infos rund um die Basishonorare!

Nähere Erläuterungen zu den Basishonoraren findet ihr bei ver.di, Infos für Solo-Selbständige bei ver.di gibt es hier.

Mehr Infos und News rund um die Kreativbranche lest ihr in unserem Magazin!