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Neuigkeiten

Interkulturelle Projekte sind der Kitt der Gesellschaft in der Großregion

Content & Crémant Vol. 17

Am Donnerstag, 23. Januar 2020 stellten sich auf der Bühne von Content & Crémant Vol. 17 drei Macherinnen deutsch-französischer Kulturprojekte den Fragen unserer Moderatorin Isabel Sonnabend. Das deutsch-französische Festival für zeitgenössische Bühnenkunst, das »Festival Perspectives« mit seiner über 40-jährigen Geschichte, war allen Anwesenden im vollbesetzten Jules Verne ein Begriff. Das überraschte Martha Kaiser, die Projektkoordinatorin des Festivals und Mitbegründerin des Festivals »Loostik« nicht weiter. Sie ist sich der Tradition und Verankerung des Festivals bewusst. Sie selbst ist schon seit 2009 Teil des Teams. Seither begleitet sie die Neuausrichtung durch die künstlerische Leiterin Sylvie Hamard und das daraus resultierende Wachstum des Festivals.

In Frankreich ist die freie Theaterszene viel größer als in Deutschland

Letztes Jahr schaffte das Festival eine Auslastung von 98%. Damit das gelingt, reisen Martha und ihre Kolleginnen weit und schauen sich sehr viele Stücke an. Sie sind immer auf der Suche nach den besonderen Formaten, die das Festival bereichern und das Publikum begeistern können. Denn sie sehen auch vieles, was nicht nach Saarbrücken passt. Gerade in Frankreich ist die freie Theaterszene weitaus größer als in Deutschland. In dieser Szene entsteht viel Tolles. Dabei sind aber auch einige Formate, die auf Theaterfestivals in Luxemburg gut laufen, in Saarbrücken aber kaum angenommen würden, ergänzt Marion Touze. Sie ist für die Öffentlichkeitsarbeit des »Festival Perspectives« und des Festival »Loostik« verantwortlich. Auch diese kleine Schwester des »Festival Perspectives« und das einzige deutsch-französische Theaterfestival für junges Publikum war den meisten Anwesenden ein Begriff. Dieses Team ist von Grund auf binational aufgestellt, was in seiner Geschichte begründet liegt. Das Festival feierte 2013 Premiere und ist Teil des Projekts »ArtBrücken«, das auf grenzübergreifende Kooperationen in der Großregion zielt. Gemeinsam mit dem Theater »Le Carreau« in Frankreich bietet es jedes Jahr ein vielfältiges deutsch-französisches Programm für Kinder an.

In Nancy etabliert sich ein Creative Hub für interkulturelle Projekte

Das Aufgabengebiet des Goethe-Instituts in Nancy  hatte größeren Erklärungsbedarf. Esther Mikuszies stellte erst einmal vor, welche Aufträge sie und ihr Team im Kern erfüllen. Die ursprünglichste und bekannteste ist wohl die Vermittlung deutscher Sprache und Kultur. Als Formate nutzt man dazu in Nancy interkulturelle Trainings, Literaturlesungen, Konzerte im Park und in Bibliotheken. Dazu kommt, dass Mikuszies und ihr Team seit letztem Jahr mit einem Creative Hub für interkulturelle Projekte experimentieren. Mit der Ausschreibung zu »Oh my Goethe« werden Teams mit Business-Ideen aus der Kultur- und Kreativwirtschaft ausgewählt und zusammengestellt. Sie dürfen dann ein halbes Jahr im Kreativlabor in Nancy arbeiten, an ihrer Business-Idee feilen und grenzüberschreitend Kontakte knüpfen. „Klar ist die Sprache dabei wichtig“, weiß Esther, „aber das Team vom Goethe-Institut baut da Brücken und unterstützt natürlich, damit das klappt.“

Solche binationalen Unternehmen sorgen dafür, dass Kulturen und Menschen in der Großregion zusammenwachsen

Einen Erfahrungsbericht  über das Auswahlwochenende Ende Oktober 2019 könnt ihr hier im Dock 11 Magazin lesen. Jetzt, wenige Monate später, bereitet Saskia Riedel sich auf ihren Umzug nach Nancy vor. Mit ihrem Projekt ARCS Audio durften wir sie als eine Gewinnerin des diesjährigen »Oh my Goethe« auch kurz auf der Bühne begrüßen. Sie wird ab Februar das Lab beziehen und dort ihren Business Plan weiter entwickeln, internationalisieren und ihr Netzwerk ausbauen. Das sind auch Herausforderungen, die das Goethe-Institut für sich selbst identifiziert hat. Esther betrachtet sich und ihr Team mit diesem »Oh my Goethe« selbst als Start-up. Das  Projekt ist bisher für zwei Förderjahre bewilligt, doch jetzt ist schon klar, dass es damit weiter gehen soll. Denn solche binationalen Unternehmen sorgen maßgeblich dafür, dass Kulturen und Menschen in der Großregion zusammenwachsen. „Um dieses Projekt weiterzuführen und entwickeln zu können, dafür lernen wir auch gerade total viel“, so Esther.

Der Künstler setzt sich nicht gerne mit der Wirtschaft auseinander

Ob auch die beiden deutsch–französischen Festivals Unternehmen der Kreativwirtschaft sind, darüber hat das Team in der Vorbereitung zu Content & Crémant lange diskutiert. Dass es einen Markt für Theaterstücke gibt, den es zu bedienen gilt, ist besonders jenen deutlich, die ein Festivalprogramm gestalten und das Großevent organisieren. Besonders in Frankreich gibt es für die freie Szene auch ausgeprägte Vermarktungsstrukturen, berichtet Touze. Jedoch setzt der „Künstler sich nicht gerne mit der Wirtschaft auseinander“, wie Isabel Sonnabend treffend zusammenfasst. Besonders im Bereich der Kultur, die nicht unter rein privatwirtschaftlichen Aspekten betrachtet werden kann, ist es eine Gratwanderung. Martha und Marion betonen, dass sie sich nicht beschweren können, was die Finanzierung des Festivals betrifft. Allerdings geben sie zu bedenken, dass die gesamte Infrastruktur um eine Aufführung herum, beispielsweise Bühnenbau und Technik, immer teurer werden. Bei einer konstant bleibenden Förderung schmälert das die Budgets für die Künstler. Mit viel Kreativität gleicht das Team diese Diskrepanz seit einiger Zeit aus, aber „wie lange das so weitergehen kann, das können wir nicht sagen“, schließt Kaiser. Alle drei Speakerinnen auf der Bühne sind keine gebürtigen Saarländerinnen.

Die Grenzen in den Köpfen sind präsenter als man meint

Sie zeigen sich erstaunt darüber, wie gelangweilt Saarländer oft reagieren, wenn „mal wieder“ ein interkulturelles Projekt mit Frankreich vorgestellt wird. Zumal sich zeigt, dass es durchaus schwierig ist, die deutschen Festival–Besucher dazu zu bewegen, ins Theater »Le Carreau« nach Forbach zu fahren. Das sei weitaus nicht so einfach, wie man sich das aufgrund der Nähe vorstellen mag, erzählt Marion Touze. Dem Team  zeigt sich immer wieder, dass die Grenzen in den Köpfen immer noch weitaus präsenter sind, als viele glauben. An diesem Punkt setzen die vorgestellten Projekte auf unterschiedliche Weise, aber hoch motiviert an. Wir bedanken uns für die Insights in ihre Arbeit und freuen uns jetzt schon auf die nächste Ausgabe Content & Crémant im Februar.

 

Tanja Begon