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Mert Akbal | DOCK 11 Interview

Mert Akbal

Wir sprachen mit Mert über seine Arbeit als freischaffender Künstler, wie auch Digitalisierung kollaborativ angegangen werden könnte und wie die Pandemie dafür sorgt, dass solche virtuellen Welten – wie Mert sie gestaltet – wie Pilze aus dem Boden schießen. 

Zur Person

Mert Akbal lebt in Berlin und Saarbrücken und arbeitet an der hochinteressanten Schnittstelle zwischen Kunst und Forschung. Als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften beschäftigte Mert sich mit räumlichen Gedächtnissen in virtuellen Realitäten. An der HBK ist er als Wissenschaftlicher Mitarbeiter der »Medien und künstlerische Produktion« angestellt. Seine künstlerischen Arbeiten wurden weltweit in zahlreichen Ausstellungen und Festivals präsentiert. 

Dock 11: Hallo Mert, Schön, dass du dir kurz Zeit für uns genommen hast. Wenn man sich deine Vita und deine Tätigkeiten ansieht, gerät man schnell ins Staunen, wegen der auf den ersten Blick so ungleichen Betätigungsfelder zwischen Kunst und Wissenschaft. Wo siehst du die Verbindung zwischen Kreation und Forschung in deinem täglichen Arbeiten?

Mert: Ich denke sowohl die Kunst als auch Wissenschaft, aber auch Technik und Philosophie, sind Tätigkeiten, die aus der menschlichen Neugier erwachsen. Die Neugier ist in unserer Natur, so etwas wie ein Instinkt. Wir wollen mehr über die Welt und das Universum wissen. Kunst und Wissenschaft sind einfach andere, aber ähnliche Methoden das Universum zu entdecken. Das sieht man besonders bei den Künstler:innen aus der Antike, wie zum Beispiel in der Geschichte von Parrhasius und Zeuxis, oder in der Renaissance, wie bei Leonardo da Vinci oder Artemisia Gentileschi. In der Neuzeit haben sich leider die Disziplinen etwas voneinander distanziert. Der Grund dafür ist die Spezialisierung. Weil wir in den vergangenen Jahrhunderten so viele Informationen über die Welt schon erforscht und gesammelt haben, müssten wir diese als Disziplinen in Schubladen ordnen.
Leider hat dies dann zur Folge, dass die Ähnlichkeiten zwischen Disziplinen übersehen werden. Die Künstler:innen denken, die Formeln der Physik und Chemie seien zu akribisch, und Wissenschaftler:innen denken, dass die Kunst etwas Erhabenes sei, das nur von »ausgewählten Künstler:innen« ausgeübt werden kann. Aber ich denke, jede:r die/der schreiben kann, kann auch lernen zu zeichnen und umgekehrt, jede:r die/der eine Geschichte lesen kann, kann auch die Formeln verstehen.

virtuelle Wände für ein Gefühl von Präsenz

Dock 11: Du hast für uns einen digitalen Konferenzraum gestaltet, was vielleicht nicht unbedingt in dein gewöhnliches Aufgabenfeld fällt. Haben sich durch die Pandemie solche eher funktionalen als ästhetischen Auftragsarbeiten, bei denen der künstlerische Aspekt eher im Hintergrund steht, gehäuft? 

Mert: Es ist eigentlich eine ganz interessante Aufgabe, einen solchen funktionalen Raum zu gestalten, welcher rein digital existiert. Als Künstler habe ich mich immer wieder der Architektur als ästhetisches Element in meinen Bildern oder Filmen bedient. Hier in dem digitalen Konferenzraum jedoch musste die Architektur durchdacht werden. Ich habe mich dabei mehrmals gefragt, welchen Zweck bestimmte Elemente erfüllen. Warum gibt es Stühle, wenn die Avatare nicht müde werden und sich deswegen nicht zu setzen brauchen? Warum gibt es Wände, wenn man sowieso im Chatfenster sieht, wer gerade im Raum ist? Und warum brauchen wir überhaupt ein Dach, wenn es nicht regnen wird, und wenn überhaupt, dann wird ja niemand nass werden dadurch.
Ich bin zum Ergebnis gekommen, dass die Gestaltungselemente in der digitalen Architektur mehr zu einem einfacheren Austausch der Information dienten, aber auch dass sich die Besucher:innen dadurch präsent fühlen. Das heißt, sie sollen einerseits die Informationen so einfach und strukturiert wie möglich finden und nicht durch die Räume irren. Andererseits sollen sie sich so fühlen, als wären sie mit den anderen Besucher:innen tatsächlich im gleichen Raum. Die virtuelle Anwesenheit ist natürlich nicht physisch. Doch es soll auch nicht illusorisch werden, in dem alles sehr hyperrealistisch aussieht. Denn dies kann entfremdend und ablenkend wirken, wenn sich das, was wir sehen und das, was es ist, so sehr voneinander unterscheiden. Deswegen habe ich versucht, wo es möglich ist, grafische Elemente in den Raum zu bringen, um zu zeigen, was dieser »Raum« ist: »eine dreidimensionale Webseite, die man mit anderen Personen zusammen besucht und auf der man auch mit ihnen sprechen kann.«

digitale Infrastruktur ist veraltet

Dock 11: Im Kontext der »Digitalisierung« haben sich in der deutschen Wirtschaft und Politik ja doch einige Schwachstellen offenbart. Wo siehst du die größten Handlungsbedarfe und welche Bereiche des digitalen Lebens werden durch die Pandemie in ihrer Entwicklung gerade am stärksten beschleunigt?

Mert: Leider ist die digitale Infrastruktur in Deutschland sehr veraltet und die Verantwortlichen dafür sind im Privatsektor zu suchen. Diese investieren eher in Werbung und Marketing. Sie stellen ihre Mitarbeiter:innen eher dafür an, Kund:innen »mit neuen Verkaufsangeboten zu locken«, als technische Probleme zu lösen und Infrastruktur auszubauen. Im Telekommunikationssektor ist die Suche nach Profit fehl am Platz, weil dadurch das Wachstum anderer Wirtschaftszweige verhindert wird. Und nicht zuletzt ist das Internet mittlerweile auch ein Grundbedürfnis für Menschen, wie sauberes Wasser, Strom und Wohnen. Ich denke hier wären öffentlich-rechtliche, oder aber auch genossenschaftliche Strukturen, die auf das Gemeinwohl zielen, viel nützlicher.

Internet ist mittlerweile ein Grundbedürfnis – hier wären vielleicht genossenschaftliche Strukturen nützlicher

Dock 11: Welche der digitalen Entwicklungen auf gesellschaftlicher Ebene werden denn deiner Meinung nach auch noch nach Corona bestehen bleiben und welche werden sich doch eher als Eintagsfliegen entpuppen?

Mert: Dass die Arbeit am Computer auch woanders als im Büro erledigt werden kann, hat sich teilweise gezeigt. Es bleiben aber viele Fragen bezüglich Home-Office offen. Wie richtig ist es, die Arbeit soweit in das private Leben hinein zu lassen? Kann jede:r die Zeit zum Arbeiten und Leben gut trennen? Viele Freund:innen, die normalerweise in Büros arbeiten und jetzt von zu Hause, haben davon berichtet, dass sie mehr und mehr die Sinnlosigkeit vieler ihrer Aufgaben realisieren. Also Aufgaben, die nichts essenzielles zu der hauptsächlichen Arbeit beitragen und gar keinen gesellschaftlichen Nutzen haben. Da ist vielleicht das Buch »Bullshit Jobs. Vom wahren Sinn der Arbeit« von David Graeber zu empfehlen. Darin erzählt er, wie manche Jobs die Menschen physisch und psychisch krank machen, weil sie keinen Sinn und Nutzen ergeben. 

digitale Gewohnheiten in Frage stellen

Optimistisch gesehen will ich daran glauben, dass die Corona-Erfahrung der Gesellschaft eine Gelegenheit geboten hat, um über die digitale Welt nachzudenken, indem wir den Anteil des Digitalen in unserem Leben auf ein Maximum gesteigert haben. Einerseits diese Übersättigung, andererseits die Wichtigkeit halfen mir, meine digitalen Gewohnheiten mehr in Frage zu stellen und sie nicht unkontrolliert zu lassen.
Vielleicht kommen wir nach Corona in eine neue Phase der Digitalisierung der Gesellschaft, wo wir besser zwischen Nutzen und Sucht unterscheiden können. Das heißt, digitale Systeme für eine bessere Gestaltung der Produktion (hinsichtlich der Klimakrise), Konsum (weniger Verschwendung), Kultur (Diversität) und Kommunikation (Fakten) nutzen, und nach den sozialen Medien weniger als ein Ersatz für Selbstbestätigung zu greifen. Letztendlich ist die Corona-Krise auch die erste wahre globale Krise. Auch wenn in unterschiedlichen Stärken und Ebenen, alle Menschen auf dem Planeten haben sie in ihrem Leben gespürt. Auch wenn mehr Diskrepanz zwischen arm und reich entstanden ist, wird die Krise sicher auch zu mehr Solidarität zwischen den Weltbewohner:innen führen.

digitale Räume für die Stadtgalerie

Dock 11: Die Ausstellungseröffnung der Stadtgalerie Saarbrücken fand nicht nur unter erschwerten Bedingungen statt, sie war auch mehr oder weniger die Antrittsveranstaltung der neuen Leiterin Katharina Ritter. Für die Eröffnung hast du vier Räume entworfen, in denen sich zu verschiedenen Themen ausgetauscht werden konnte. Denkst du auch andere Institutionen und öffentliche Einrichtungen werden nun mutiger, was ihre Formate angeht und wie siehst du die Zusammenarbeit mit solchen Auftraggebern generell?

Mert: Die Idee etwas mit den Mozilla Hubs zu machen kam von Katharina Ritter, Leonie Scheidt und Katja Pilisi. Letztes Jahr hat die Stadtgalerie in Zusammenarbeit mit der HBK Saar 3D Scans von den Räumlichkeiten erstellt. Ich habe dann basierend auf diesen Scans vereinfachte 3D Modelle nachgebaut. Das Ziel war einerseits, dadurch neue Planungsmöglichkeiten für künftige Ausstellungen zu öffnen und andererseits, neue Präsentation und Dokumentationsmöglichkeiten zu untersuchen. Von diesen Modellen ausgehend habe ich dann die vier virtuellen »Diskussionsräume« der Stadtgalerie gebaut, wo die Besucher:innen an einem Abend über aktuelle Themen im Bezug auf ihre Arbeit diskutierten. Es war keine digitale Ausstellung, sondern ein Rahmenprogramm zu der Ausstellungseröffnung von drei Künstler:innen.
Dass die Ausstellungen in 3D gescannt werden und so von nicht lokalen Besucher:innen gesehen werden ist mittlerweile ganz verbreitet in wichtigen Ausstellungshäusern der Welt. Rein virtuelle Ausstellungen oder kulturelle Events gibt es natürlich schon lange in der virtuellen Welt und in der digitalen Kunst, in Second Life zum Beispiel gibt es solche Events bereits seit 2008. Aber dass die Menschen sich in den virtuellen Räumen eines physisch existierenden kulturellen Institutes treffen und das Ganze zu einer Ausstellung gekoppelt ist, ist hingegen eher ein Novum. Dadurch wird die virtuelle Welt dem klassischen Kunstpublikum näher gebracht.

open source für gewissenhaften Datenschutz

In der Aufbauphase der Räume haben wir uns mit Katharina Ritter auch mit den Datenschutzfragen beschäftigt. Die Auswahl von Mozilla Hubs als Plattform war diesbezüglich sehr passend. Hubs ist eine Open-Source-Software, die von einer nicht gewinnorientierten Organisation (Mozilla Stiftung) entwickelt und betrieben wird. Die Nutzung der Plattform und das Hosting der Ausstellung ist kostenfrei. Im Gegensatz zu ähnlichen Plattformen in der virtuellen Welt müssen die Besucher:innen sich beim Betreten der Räume nicht anmelden, also keine Daten hinterlegen. Diese Anonymität funktioniert wiederum auf der lokalen Ebene ganz gut. Wenn man die Menschen auch aus dem nicht-virtuellen Leben kennt, entfällt die Notwendigkeit einer Registrierung, um bestimmten Unregelmäßigkeiten vorzubeugen (Spam, Trolls, unangebrachte Sprache…). Ich denke, wenn man dann schon so eine Basis von vertraulicher Besucherschaft hat, ist es auch einfacher, so etwas für ein größeres, internationales Publikum zu öffnen. »Diskussionsräume« der Stadtgalerie bestand ja auch aus vier Räumen, davon zwei in deutscher Sprache, einer in Englisch und einer in Französisch.

Dock 11: Danke dass du dir Zeit genommen hast, Mert! Wir freuen uns schon darauf, die Teilnehmenden und Speaker:innen der Konferenz in unserem digitaken Raum begrüßen zu dürfen!

Das Interview führte Matthias Schmitt.

Die digitale Konferenz »Kollaboratives Wirtschaften – Perspektiven für Kreativschaffende« findet am 18. & 19. Mai 2021 statt. Alle Infos zur Konferenz und zur Anmeldung findet ihr in unserem Eventkalender. Mehr Infos und News rund um die Kreativbranche lest ihr in unserem Magazin!